Nachdem das Musical um die Legende des Überlebens der jüngsten Zarentochter „Anastasia“ 2017 am Broadway erfolgreich Premiere feierte und bereits im darauffolgenden Jahr in Deutschland aufgeführt wurde, ist es seit September am Landestheater Linz erstmals in Österreich zu sehen. Wir haben die Produktion gesehen und berichten euch:
Das Musical „Anastasia”:
Das Buch von Terrence McNally erzählt die aus dem Zeichentrickfilm bekannte Handlung. Allerdings ist sie mehr an dem erwachsenen Zuschauer und den historischen Ereignissen Anfang des 20. Jahrhunderts orientiert. Dadurch ist die Story sowohl tiefgründiger, als auch ergreifender. Es geht um die Legende, dass die jüngste Zarentochter Anastasia die Ermordung der Zarenfamilie durch die Bolschewiki überlebt haben soll. Als identitätslose Straßenkehrerin Anja in St. Petersburg wendet sie sich an die beiden Gauner Dimitri und Wlad. Sie möchte durch diese nach Paris zu kommen, in der Hoffnung dort ihre verlorene Identität zu finden. Diese suchen ohne ihr Wissen für den hohen Belohnungsbetrag eine Anastasia-Darstellerin, die die Großmutter des Zaren in Paris überzeugen soll. Gemeinsam reisen sie nach Paris und werden dabei vom bolschewistischem Kommissar Gleb verfolgt…
Die Musik von Stephen Flaherty und Lynn Ahrens (Texte übersetzt von Wolfgang Adenberg) greift die meisten beliebten Filmlieder wie u.a. „Im Dezember vor Jahren“ und „Reise durch die Zeit“ auf. Zusätzlich wurden sechzehn neue Songs geschrieben darunter ergreifende Balladen, russische Anklänge, aber auch schwungvolle Melodien im Stile der 20er Jahre. Dadurch unterstützen die Lieder optimal die Handlung und die Stimmung der damaligen Zeit.
Die Besetzung am besuchten Abend:
Die namensgebende Hauptrolle wird von Hanna Kastner verkörpert, die das Publikum mit ihrer klaren Stimme verzaubert und mit ihrer emotionalen Mimik überzeugt. Mit jugendlicher Leichtigkeit und gleichzeitig in Gedanken verlorenen Art spielt sie Anjas Weg zur vornehmen Großfürstin Anastasia. Sie spielt die Rolle der gedächtnislosen Zarentochter damit absolut glaubwürdig und gibt ihr eine schöne Stimme, der man gerne zuhört.
Aufgrund von Krankheitsausfall musste als Lösung für den spontanen Ausfall am besuchten Abend Dimitris Rolle aufgeteilt werden. Hannah Moana Paul übernahm als Choreografische Dance Captain Dimitris Schauspiel und Tanz, während er zeitgleich aus dem Verborgenen von Gernot Romic gesungen wurde. Diese Kombi hat so hervorragend und harmonisch funktioniert, dass man ohne Vorwissen nicht vermutet hätte, dass zwei Personen hinter dem liebenswerten Betrüger stecken. Hannah Moana Paul spielt sowohl Dimitris schelmische als auch seine emotionale Seite hervorragend aus. Dabei gibt Romic ihm eine starke, klare Stimme und singt seine Parts großartig. Definitiv eine gelungene und passende Künstlerkombination.
Eine gute Kombination sind ebenfalls Dimitri und sein Freund Wlad. Dieser wird mit dem notwendigen Humor und einer liebenswürdigen Art von Karsten Kenzel gespielt. Mit dieser imponiert er auch der Zofe der Zarenmutter Lily verkörpert von Judith Jandl, die mit ausdrucksstarker Stimme im Neva Club singt. Durch sie gelingt es Dimitri und Wlad auch ein Treffen zwischen der durch die Schicksalsschläge geprägten alten Dame und Anja zu arrangieren. Die stolze und strenge Zarenmutter wird dabei authentisch von Daniela Dett gespielt.
Die für das Musical neu geschriebene, spannende Figur des bolschewistischem Kommissars Gleb wurde von Nikolaj Alexander Brucker dargestellt. Er spielt die innere Zerrissenheit zwischen seinem Pflichtbewusstsein dem Regime gegenüber und den Gewissensbissen für die Gräueltaten seines Vaters sehr glaubhaft. Es gelingt ihm diese auch gesanglich auszudrücken, insbesondere bei dem Lied „Doch / Die Newa fließt (Reprise)“.
Ebenfalls die anderen Darsteller und das hervorragende Ensemble begeistern durch gekonnte Tanz-Choreografien (Kim Duddy) und ihren Gesang. Die dynamischen Tanzeinlagen reichen dabei vom klassischen Ballett über Walzer zu schwungvollem Charleston.
Die Inszenierung in Linz:
Die Inszenierung der Geschichte von Regisseur Matthias Davids ist mitreißend und spannend. Allerdings ist das Bühnenbild (Andrew D. Edwards) in Linz insbesondere im Vergleich zum Broadway spartanisch, schlicht und etwas düsterer gehalten. Es wird an nicht wenigen Stellen etwas Fantasie vom Publikum abverlangt z.B. wenn der Ortswechsel von St. Petersburg nach Paris lediglich mit einer Himmelsprojektion dargestellt wird. Insgesamt wird hauptsächlich mit Lichteffekten (Michael Grundner) und einer mobilen zweiteiligen Treppenvorrichtung gearbeitet. Während das Bühnenbild weniger opulent ist, sind die Kostüme und Kleider (Ales Valásek) absolut zeitgemäß und entsprechend teils sehr prunkvoll, somit schön anzusehen. Auch darf sich das Publikum über ein wunderbares Orchester erfreuen, das nur an weniger Stellen etwas stärker noch sein könnte.
„Anastasia“ in Linz ist ein bewegendes Musicalerlebnis, das mitreißt und begeistert. Trotz einfachem Bühnenbild prunkt es mit überragenden Darstellern, beeindruckenden Choreografien & Kostümen, einer ergreifenden Geschichte und Musik, die einen Träumen lässt.
Weitere Informationen und Tickets zum Musical „Anastasia“ in Linz erhaltet ihr hier.
Besuchte Vorstellung: 1. Oktober 2022 im Landestheater Linz.
Vielen Dank an das Landestheater Linz für die freundliche Bereitstellung der Karten!
(Bildquelle (c) Reinhard Winkler)
Anja ist 30 Jahre alt und schreibt seit 2021 für Musicalzone, weil sie nichts lieber macht als in die Welt der Musicals einzutauchen und andere daran teilhaben lassen möchte. Das Verfassen der entsprechenden Texte dafür hat sie unter anderem in ihrem Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Englisch gelernt. Ihre Leidenschaft für Musicals begann mit ihrem ersten Musicalbesuch mit zwölf Jahren und seitdem kann sie sich ein Leben ohne Musicals nicht mehr vorstellen.