Lange wurde das Andrew Lloyd Webbers zweiter Phantom-Teil „Love never dies“ in Deutschland nicht mehr gespielt und bisher noch nie als OpenAir-Fassung. Dies änderte sich diesen Sommer am Domplatz in Magdeburg. Wir haben die Inszenierung für euch besucht und berichten euch:
Das Musical „Love Never Dies“:
Nach einem kurzen Prolog in Paris setzt die Handlung zehn Jahre später auf Coney Island ein. Als „Mr Y“ betreibt das Phantom dort mittlerweile den fiktiven Vergnügungspark „Phantasma“ mit der Hilfe der Girys, sehnt sich aber nach wie vor nach seiner ewigen Liebe und Muse Christine. Er lädt diese unter anderem Namen für einen Gesangsauftritt nach New York ein, wo sie daraufhin gemeinsam mit ihrem Ehemann Raoul und ihrem Sohn Gustave eintrifft. Bald merkt das Phantom eine besondere Verbindung zu Gustave. Christine muss sich erneut zwischen Raoul und dem Phantom entscheiden und ein tragisches Drama gezeichnet von Eifersucht beginnt…
Wenn man sich gedanklich etwas vom ersten Teil löst und bereit ist sich dahingehend auf eine neue Perspektive und Charakterentwicklungen einzulassen, vermag die Geschichte (Buch: Ben Elton) durchaus mitzureißen. Dabei wird sie von Webbers unwiderstehlichen Musik begleitet. Neben neuen einprägsamen Melodien in emotionalen Balladen, Duetten, rockigen Nummern und passend zur Handlung sonderbar schönen Klängen, werden subtil Lieder aus dem ersten Teil aufgegriffen. Ein abwechslungsreicher Hörgenuss, der einen in eine andere Welt eintauchen lässt, etwas Neues schafft und doch gekonnt an den vorherigen Teil erinnert. Unter der musikalischen Leitung von Pawel Popławski werden die Lieder instrumental hochwertig von der Magdeburgischen Philharmonie zum Leben erweckt. Die Gesangstexte von Glenn Slater und Charles Hart sind dabei stimmig ins Deutsche übersetzt von Wolfgang Adenberg und werden von einem überzeugenden Cast gesungen:
Die Besetzung in Magdeburg:
In der Rolle des Phantoms begeistert Patrick Stanke mit gefühlvollem Tenor und überzeugendem Schauspiel. Es gelingt ihm sowohl emotional berührend in „So sehr fehlt mir dein Gesang“ als auch ausdrucksstark und rockig in „Wo die Schönheit sich verbirgt“ dem Phantom seine Stimme zu geben. Dabei ist jeder Ton ein Genuss.
Ähnlich beim schönen Sopran von Martina Lechner, die Christine Daaé glaubhaft auf die Bühne bringt. Sie spielt die innere Zerrissenheit, die Christine auch in dieser Geschichte verfolgt, sehr authentisch.
Eine ebenfalls absolut treffende Besetzung ist Sebastian Seitz als Vicomte de Chagny bzw. Raoul. In „Wer verliert, geht unter“ liefert er mit seinem Bariton ein beeindruckendes Duett gemeinsam mit Patrick Stanke als Phantom und spielt seinen Part bis zum Schluss überzeugend.
Christines Sohn Gustave wird in dieser Inszenierung nicht von einem Kinderdarsteller, sondern von der erwachsenen Sarah Gadinger verkörpert. Sie fügt sich gut in ihre Rolle ein und zeigt sichtbare Faszination und kindliche Entdeckerfreude für die Welt des Phantoms. Diese spiegelt sich auch in ihrer Stimme wieder.
Sophia Gorgi spielt Meg Giry und ihre zwei Seiten von aufrichtiger Freude Christine wiederzusehen bis hin zu wahnsinniger Eifersucht fantastisch und glaubwürdig. Auch wenn ihr Hauptlied zu den weniger starken Musikparts in dem Stück zählt, singt sie durchgängig mit schöner Stimme und absolut stimmig.
Ihre Mutter Madame Giry wird von Manja Stein passend kühl und distanziert auf die Bühne gebracht, womit auch sie sich gut für die Rolle eignet.
Ebenfalls schauspielerisch überzeugen die drei Darsteller von Phantasmas Freakshow Dr. Gangle (Thomas Wißmann), Mr. Squelch (Dani Spampinato) und Fräulein Fleck (Maike Katrin Merkel). Sie wirken unterhaltsam, faszinierend und unheimlich zugleich und passen dadurch ideal zu der Welt des Phantoms.
Auch die anderen Ensemble-Mitglieder (bestehend aus dem Ballett und Opernchor des Theaters Magdeburg) unterstützen die Handlung perfekt sowohl durch Tanz, Schauspielerei und Gesang. Besonders hervorzuheben ist hierbei Nina Kemptner, deren Rolle Spielraum für Interpretation gibt. Optisch gleicht sie der jüngeren Christine von vor 10 Jahren, die als Balletttänzerin auf das Phantom traf. Gemäß der neuen Handlung (angedeutet in „In rabenschwarzer Nacht“) könnte sie für die Liebe und Leidenschaft zwischen Christine und dem Phantom aus „einst in einer andern Zeit“ stehen. Dementsprechend sind ihre akrobatischen Tanzeinlagen am präsentesten in Momenten in denen es um die Liebe zwischen Christine und dem Phantom geht. Diese sind beeindruckend mitanzusehen und ergänzen in gewisser Weise das Bühnenbild.
Die Show in Magdeburg:
Die OpenAir Inszenierung von „Love Never Dies“ wird in Magdeburg unter der Regie von Pascale-Sabine Chevroton auf die Bühne gebracht, die auch für die Choreografie zuständig ist. Das Bühnenbild stammt von Jürgen Franz Kirner und wird von einem riesigen Clownskopf dominiert, in dessen Mund sich das Orchester befindet und gleichzeitig eine Art Geisterbahn herausfährt. Ebenfalls auffällig ist ein antikes Pferdekarussell mit Lichtern und einem festmontierten Aerial Hoop. Ansonsten zu entdecken sind eine Zielscheibe neben einer Darstellung des Eifelturms und ein kindlicher Skulptur-Kopf mit Maske, in dessen Inneren sich eine Theater-Garderobe befindet. Zudem elementar ist ein sich drehendes, dreiseitiges Spiegelkabinett, welches immer wieder modifiziert wird. Im Hintergrund befinden sich große, wellenförmige Elemente. Auch wenn es hier vieles zu entdecken gibt, wirkt die Bühne für die magisch, glitzernde Welt von Coney Island manchmal noch etwas leer. Selbstverständlich darf man die Produktion nicht mit der überaus aufwendigen Hamburger Inszenierung von 2015 vergleichen. Die Voraussetzungen sind ganz andere. Die Dekorationen und Kostüme wurden in theatereigenen Werkstätten selbst gefertigt und lassen auch eigene kreative Ideen wie beispielsweise ein kleines Boot auf einer Wasserfläche vor der Bühne einfließen. Somit sind wunderbare Ansätze vorhanden, dennoch hätten ggf. ein paar weitere Lichterketten und der Einsatz von zirkuszeltartigen Stoffen für etwas mehr Magie gesorgt. Selbiges gilt für die weitere Umsetzung des Stücks. Dem Zuschauer werden immer wieder schöne Szenenbilder geboten, so beispielsweise auch in „Wo die Schönheit sich verbirgt“. Doch zum Beispiel in der tragenden Schlüsselszene, in der Christine das Titellied singt, geht sie leider selbst auf der Bühne unter. Durch die Entscheidung dem Zuschauer eine Art „hinter-der-Bühne-Perspektive“ auf den Song zu geben, ist der Fokus kaum auf Christine und vielmehr auf ihrem akrobatischen Alter Ego. Der kreative und symbolische Ansatz hinter diesem ist zwar spannend, dennoch lenkt es in äußert intimen Szenen zwischen dem Phantom und Christine beispielsweise in „In rabenschwarzer Nacht“ etwas ab. Besonders aber beim Titellied hätte von der Inszenierung her der Fokus mehr auf der Hauptakteurin sein sollen.
Die Kostüme von Tanja Liebermann sind teilweise ebenfalls abweichend von bisherigen Produktionen. Das Phantom trägt unter seiner Halbmaske offene, lange Haare und wirkt vom Look insgesamt weniger elegant wie üblich, sondern eher gezeichnet durch die Zeit und seine Erfahrungen. Christine trägt weniger aufwendige, aber durchaus schöne Kleider. Gustave und Raoul haben passend zu ihrer Rolle schicke Anzüge an und Madame Giry einen schwarzen Turban und auffällige Ohrringe. Insgesamt wurde bei den Kostümen viel auf weiß und schwarz gesetzt. Vermutlich um Kontraste zu setzen und zudem passend zum Bühnenbild. Folglich wurde auch bei den Kostümen ein neuer Ansatz verfolgt, der die Inszenierung insgesamt nicht zu einer Kopie macht, sondern ihr etwas Eigenes gibt.
„Love never dies“ am OpenAir Theater Magdeburg zieht einen vor allem durch die fantastische musikalische Umsetzung in die magische Welt des Phantoms. Die Inszenierung liefert schöne Bilder, hätte partiell aber noch etwas Luft nach oben, um noch mehr den Zauber von Coney Island auf das Publikum überspringen und auch wichtige Höhepunkte hervorheben zu lassen. Dennoch bietet die Produktion durch akrobatische Tanzeinlagen und kreative eigene Ideen auch einiges optisch zu genießen. Somit wird der Musicalbesuch trotz kleiner Schwachstellen zu einem zauberhaften Abend.
Weitere Informationen und Tickets für „Love Never Dies“ beim DomplatzOpenAir Theater Magdeburg 2024 erhaltet ihr hier.*
Besuchte Vorstellung: 15.06.2024 im DomplatzOpenAir Theater Magdeburg
Vielen Dank an das Theater Magdeburg für die freundliche Bereitstellung der Karten für „Love Never Dies“!
(Bildquelle (c) Andreas Lander)
Anja ist 30 Jahre alt und schreibt seit 2021 für Musicalzone, weil sie nichts lieber macht als in die Welt der Musicals einzutauchen und andere daran teilhaben lassen möchte. Das Verfassen der entsprechenden Texte dafür hat sie unter anderem in ihrem Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Englisch gelernt. Ihre Leidenschaft für Musicals begann mit ihrem ersten Musicalbesuch mit zwölf Jahren und seitdem kann sie sich ein Leben ohne Musicals nicht mehr vorstellen.